Die ehemalige Heeresversuchsstelle Kummersdorf, wo unter anderem Wernher von Braun experimentierte oder die Rote Armee den Flugplatz Sperenberg baute, könnte auf die Welterbe-Liste kommen. Fachleute begründen, warum das wichtig sei.
Kummersdorf-Gut: Unesco-Welterbe – dieses Prädikat hebt Bauwerke, Landschaften oder außergewöhnliche Güter in den Olymp; Objekten dieser Liste schreibt die Menschheit universellen Wert zu, Touristen rund um den Globus besuchen solche Stätten. Tatsächlich meinen Fachleute seit langem, ein Areal im Kreis Teltow-Fläming gehöre in diesem Olymp: das ehemalige Militärgelände Kummersdorf.
Seit 1870 haben dort deutsche Militärs aller Epochen, von der Kaiserzeit bis zum Zweiten Weltkrieg der Nazis, Spuren hinterlassen – und nicht nur das: sondern auch Entwicklungslabore und Testfelder für Vernichtungsmaschinerien, ob von Giftgas- oder Geschoss-Versuchen, Raktentests unter Wernher von Braun oder Uran-Versuchen. Nach 1945 folgte die Rote Armee der UdSSR, sie baute auf dem alten Gelände der Eisenbahnpioniere den Flugplatz Sperenberg. Dieser Komplex an Kriegs- und Vernichtungstechnik ist es, der das lange Schweigen der Fachwelt erklärt: Einen solchen Ort, dazu in Deutschland, zu den ägyptischen Pyramiden, der chinesischen Mauer oder einer Ruinenstadt der Inkas stellen?
Kreisbeigeordnete: Der historische Wert ist bekannt
Die Kreisbeigeordnete Dietlind Biesterfeld (SPD) erklärt die Absicht, dieses dunkle Kapitel als Welterbe ins Gespräch zu bringen: „Seit dem Eintrag der Heeresversuchsstelle Kummersdorf in die brandenburgische Denkmalliste – in Teilen 2001, in der Gesamtheit 2007 – ist die außergewöhnliche historische Bedeutung der Anlagen in der Fachwelt bekannt.“ 2010 wurde das Welterbe-Potenzial von der BTU Cottbus mit einer Masterarbeit untersucht. Zum Ergebnis sagt Biesterfeld: „Die Kriterien werden als erfüllt gesehen und es liege ein außergewöhnlicher universeller Wert vor.“ Seither werde versucht, „diese Erkenntnisse in einen Aufnahmeantrag auf die Tentativliste, also die nationale Vorschlagsliste von Kultur- und Naturdenkmälern zur Klassifizierung als Welterbe, münden zu lassen“, so die auch für Denkmalschutz zuständige Dezernentin.
Vorschläge für diese nationale Liste unterbreiten die Bundesländer. Biesterfeld sagt: „Das zuständige Ministerium will nach unserer Kenntnis Ende Oktober 2021 zwei Vorschläge einreichen und nimmt dafür Empfehlungen bis Ende August entgegen.“ Nach MAZ-Information streben das drei Bewerber an: der Museumspark Rüdersdorf, die Oberlausitz mit ihrem Biosphärenreservat und den Städten Görlitz und Bautzen sowie Kummersdorf. Doch wer kann die Bewerbung für das mehr als 2000 Hektar große Gelände Kummersdorf veranlassen, das zum größten Teil dem Land gehört?
Arbeitsgruppe kümmert sich um einen Antrag
Aktuell gebe es eine Arbeitsgruppe, erklärt Biesterfeld, einen Antrag zu erarbeiten sei primär Aufgabe der Denkmalbehörden bei Land und Kreis. Eingebunden seien auch Frank Reichherzer, Militärhistoriker am Zentrum für Militär- und Sozialgeschichte der Bundeswehr, und Susanne Köstering, die Geschäftsführerin des Brandenburgischen Museumsverbands, sagt die Dezernentin. Köstering leitet die Projektgruppe Kummersdorf seit Jahren, sie hatte im August 2019 zur Ausstellungseröffnung 25 Jahre Abzug der Roten Armee aus Kummersdorf gesagt: „Diese doppelte, dreifache, vierfache Militärgeschichte mit ihren Kriegs- und Friedenszeiten zu verstehen und aufzuarbeiten, ist eine hochkomplexe Aufgabe nicht nur fürs Militär, sondern für die ganze Gesellschaft, das wird uns noch in 20, 30, 50 und 100 Jahren beschäftigen“.
Die Arbeitsgruppe vertiefe sich jetzt in die Aufnahmekriterien, erklärt Dietlind Biesterfeld. Über die Heeresversuchsanstalt sei zwar schon sehr viel veröffentlicht, doch das gesamte Denkmal noch nicht voll erforscht. „Das vorliegende Material muss für eine Beantragung aufgearbeitet und die Ergebnisse müssen in einen internationalen Kontext gestellt werden“, sagt sie. Im gesamten Kreis werde die dem Denkmal in der Fachwelt attestierte Bedeutung nicht bezweifelt. Sollte tatsächlich ein Antrag für die Vorstufe zum Welterbe gestellt werden, „versprechen wir uns eine Anerkennung der Bedeutung des Denkmals in der Öffentlichkeit und einen Entwicklungsschub für unsere Region“, so Biesterfeld; die Kreisverwaltung unterstütze das Vorhaben mit der Arbeit der unteren Denkmalschutzbehörde, es stehe jedoch noch ganz am Anfang.
Sollte es gelingen, Kummersdorf auf die Brandenburger Vorschlagsliste zu bekommen, folgt nach 2022 die Auswahl auf der gesamtdeutschen Liste. Und dann entscheidet das Welterbe-Gremium in Paris über neue schützenswerte Güter. Üblich ist inzwischen, dass dieser Sprung Anwärtern heute kaum noch im ersten Anlauf gelingt.
Carsten Preuß: Gelände diente Erprobungen, um Menschen zu vernichten
Biesterfeld sieht bei Erhalt des riesigen Denkmalkomplexes hohes Bildungspotenzial für die hiesige Jugend und einen lehrreichen Zielort für Bildungstourismus. Carsten Preuß, der Vorsitzende des Fördervereins Naturpark Baruther Urstromtal, sagt es so: „Das Gelände ist kein Truppenübungsplatz wie so viele im Kreis, es diente mehrfach Erprobungen, um Menschen zu vernichten.“ Deshalb wollte an dieses Thema so lange niemand ran, so Preuß. Doch in Größe und Komplexität sei es nicht nur in Deutschland einmalig, sondern weltweit.
Er meint: „Daraus muss man lernen, das ist eine riesige Mahnung.“ Jetzt komme es darauf an, dieses Erbe so zu vermitteln, dass von ihm nur noch Friedensbotschaften ausgehen. Ob es gelinge, den Weg zum Welterbe überhaupt anzutreten, so Preuß, das hänge jetzt von der Qualität der Bewerbung ab, sagt er. „Aber wenn wir Kummersdorf jetzt nicht fördern und dort forschen, dann ist es wahrscheinlich für alle Zeit verloren.“
Von Jutta Abromeit
Hintergrund
Der Heeresversuchsplatz Kummersdorf ist eines der größten Denkmale der Bundesrepublik.
Mit der Nummer 130632 steht das frühere Militärgelände als Bodendenkmal mit der Bemerkung „Militärische Anlage Neuzeit“ in der Brandenburgischen Denkmalliste; seit 2007 ist das gesamte etwa 2000 Hektar große Gelände unter der Nummer 09105793 in Kategorie D unter „übrige Gattungen“ eingetragen.
Zu diesem Riesendenkmal gehören das Kasernengelände mit Mannschaftsgebäude, Kommandantenvilla, Zeughaus, Offizierskasino, Stallgebäude, Wasserturm, Kasino, Kommandantur, Wetterbeobachtungsturm), die Versuchsstelle Kraftfahrzeuge (Verskraft) mit so genannter „Maushalle“, der Fertigungsstelle Maus-Panzer, und Klimahalle, die Schießbahnen Ost und West, die Raketen-Versuchsstellen Ost und West, die Versuchsstelle Nachrichten, die Hundeschule, die Schallmess-Schule, die Chemisch-physikalische- und die Atom-Versuchsstelle Gottow, der Bereich Eisenbahnpionierbauten mit Schumkasee, Heegesee, Gleisanlagen, Fertigungshallen und Pyramide sowie die Kraftfahrzeug-Versuchsstelle Horstwalde (Stadt Baruth) mit Steigungs- und Verwindungsbahnen.